Interview Serie

Beyond Corona – Was bewegt Griechenland?

2. Juni 2021
HamburgAmbassadorin Prof. Julia Iliopoulos-Strangas berichtet im Interview, wie sich die Corona-Pandemie auf Hellas auswirkt

Beyond Corona – Wie geht es weiter in der Welt? Eine Interviewreihe der Hamburg News mit HamburgAmbassadors aus Ländern, die eng mit der Hansestadt verbunden sind. In dieser Ausgabe sprechen wir mit Prof. Julia Iliopoulos-Strangas. Sie ist eine von 39 HamburgAmbassadors, die sich in 29 Ländern der Welt ehrenamtlich für die Hansestadt engagieren, um diese im Ausland noch bekannter zu machen.

Hamburg News: Griechenland steht in Hamburg hoch im Kurs: Laut Sommerfahrplan 2021 fliegen Fluggesellschaften vom Hamburg Airport 13 griechische Destinationen an, das ist ein neuer Rekord. Grund sind nicht nur die schönen Strände und die vielbeschworene Gastfreundlichkeit der griechischen Bevölkerung; vielmehr zieht auch die Quarantäne-Aufhebung viele Deutsche nach Hellas. Frau Professorin Iliopoulos-Strangas, wie sehen Sie – und auch die Einwohner des Landes – dieser Reisefreudigkeit entgegen?

Prof. Julia Iliopoulos-Strangas: Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung, deren Meinung ich auch teile, ist mit dieser Entwicklung sehr glücklich. Für den durchschnittlichen Griechen ist der Tourismus nicht nur eine lebensnotwendige Einnahmequelle, sondern auch ein Wirtschaftsbereich, bei dem man die dazu gehörenden Berufe sehr gerne ausübt. Und die Deutschen gehören zu den „Stammkunden“, sodass sich die griechische Bevölkerung auf deren Wiederkehr freut.

Es wird versucht, alles zu unternehmen, damit sowohl die Touristen als auch die Bewohner des Landes ihr Zusammenkommen „sicher“ gestalten können. Zurzeit ist die Regierung dabei, die Impfung, insbesondere auch der Inselbewohner, rasch voranzutreiben. Bis heute ist die Impfung bei ca. 100 Inseln mit einer Einwohnerzahl jeweils bis zu 10.000 Personen abgeschlossen.

Hamburg News: Vor Corona trug der Tourismussektor fast 30 Prozent zum BIP bei. Wie beurteilen Sie die wirtschaftliche Lage des Landes?

Iliopoulos-Strangas: Griechenland hat es geschafft, die Ausbreitung des Coronavirus vergleichsweise gut einzudämmen. Das Land hat eine der niedrigsten Zahlen von bestätigten Fällen im Verhältnis zur Bevölkerung unter den EU-Mitgliedsstaaten.

Die griechische Wirtschaft, die stark von Dienstleistungen abhängig ist und einen hohen Anteil an Tourismus und Einzelhandel am BIP hat, wurde härter als andere EU-Länder getroffen, wobei die Rezessionszahlen für 2020 8,2 Prozent erreichten. Eine Rückkehr zum Niveau vor der Pandemie wird nicht vor 2023 erwartet.

Prof. J. Iliopoulos-Strangas

Hamburg News: Welche Maßnahmen werden jetzt umgesetzt, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln?

Iliopoulos-Strangas: Um den „Rebound“ der Wirtschaft zu beschleunigen, hat die griechische Regierung den „National Recovery & Resilience Plan“ vergangenen März präsentiert. Der Plan umfasst den grünen und digitalen Wandel, private Investitionen, wirtschaftliche und institutionelle Reformen genauso wie Maßnahmen für die Beschäftigung, Qualifikation und den sozialen Zusammenhalt.

Große Investitionen sind im Gange, so will beispielsweise Athen eine größere Rolle in Chinas Belt and Road Initiative spielen. Alte Projekte wurden wiederbelebt – so etwa die Goldgruben in Nord Griechenland oder das „Mega- Infrastrukturprojekt“ des Landes auf der Fläche des alten Flughafens in Hellinikon (Attika Riviera).

Eine Erholung der aktuellen Wirtschaftslage wird allerdings ohne eine Koordinierung der nationalen Anstrengungen und gezielte EU-Interventionen  – wie etwa die Anpassung des EU-Mehrjährigen Finanzrahmens 2021-2027 und das „Next Generation EU-Programm“ – nicht möglich sein.

Hamburg News: Gibt es neue Businessmodelle, die durch die Pandemie entstanden sind?

Iliopoulos-Strangas: Die Unternehmen in Griechenland haben keine andere Wahl, als ihre Geschäftsmodelle und Strategien an neue Paradigmen anzupassen, die mit dem neuen Bewusstsein der Verbraucher, der zunehmenden Digitalisierung und der Aufmerksamkeit für ökologische und soziale Fragen verbunden sind.

Die Erholung wird in den verschiedenen Regionen des Landes und Sektoren unterschiedlich verlaufen. Griechische Unternehmen nutzen also diese Monate, um die Neugestaltung von Organisationsmodellen innerhalb der Besonderheiten des griechischen unternehmerischen Ökosystems zu evaluieren, z. B. im nachhaltigen Tourismus oder elektronischen Handel (E-Commerce). Auch die Schifffahrt ist dabei, sich von der Pandemiekrise zu erholen und mit innovativen technologischen und finanzierungstechnischen Ansätzen die „Green transition“ voranzutreiben.

Hamburg News: Bisher steckte die Digitalisierung in Griechenland in den Kinderschuhen. Bedingt durch die Corona-Krise soll sich das laut Medienberichten positiv geändert haben.

Iliopoulos-Strangas: In der Tat hat die Digitalisierung in Griechenland eine Explosion erfahren. Diese betrifft insbesondere, aber nicht nur, die Behörden. Die Digitalisierung hat sich in besonderem Maße in Bezug auf die Impfung bewährt. Alles läuft per E-mail und/oder SMS reibungslos. Ferner können seit einigen Tagen die Banken von der Digitalisierung profitieren. Auf Initiative der Kunden können sie, allerdings unter strengen Voraussetzungen, Zugang zu staatlichen Dokumenten haben, um persönliche Daten ihrer Kunden zu bestätigen bzw. zu ändern.

Hamburg News: Hat die Pandemie die extreme materielle Not der Flüchtlinge in Griechenland noch verschärft?

Iliopoulos-Strangas: Seit Beginn der Pandemie hat die griechische Regierung Maßnahmen zum Schutz der Flüchtlinge, die in den sogenannten Reception and Identification Centers (RIC) sowie in allen Flüchtlingslagern auf dem Festland leben, getroffen. Soweit ich ermitteln konnte, werden die Flüchtlinge in Griechenland in Bezug auf die Pandemie grundsätzlich in ähnlicher Weise wie alle anderen Bevölkerungsschichten medizinisch behandelt. So bekommen Asylbewerber vom Staat eine vorläufige Versicherungskarte bzw. -nummer (PAMKA), damit sie geimpft und getestet werden können, und zwar unter denselben Bedingungen wie die heimischen Bevölkerungsschichten.

Es wurden innerhalb der Flüchtlingslager spezielle Orte errichtet, in denen die an Covid-19 erkrankten Flüchtlinge ärztlich untersucht und gegebenenfalls isoliert werden oder auch dort die Zeit ihrer Quarantäne verbringen können. Ferner sind im März 2020 zwei neue Flüchtlingslager entstanden (am Ort „Kleidi“ in Serres, Nordgriechenland, und die Erweiterung des Flüchtlingslagers in Malakassa, Attika), um eine Verbreitung von Covid-19 zu vermeiden. Anzumerken ist schließlich, dass hinsichtlich der Zahl der an Covid-19 erkrankten Flüchtlinge keine größeren Unterschiede im Vergleich zu der übrigen Bevölkerung festzustellen sind.

Hamburg News: Noch ein Blick auf ein besonderes Jubiläum: Griechenland feierte am 25. März 2021 den 200. Jahrestag der Revolution. Was konnte dazu – coronakonform – in Hamburg stattfinden?

Iliopoulos-Strangas: Aus Anlass der griechischen Unabhängigkeitsrevolution am 25. März 1821 und der Gründung des neugriechischen Staates neun Jahre später, hat das griechische Konsulat für die Öffentlichkeit u. a. die Fassade des MARKK-Museums in den griechischen Nationalfarben blau-weiß beleuchtet. Dieser Fest-Veranstaltung mit Grußworten, u. a. von Hamburgs Bürgermeister Dr. Peter Tschentscher, konnte im Livestream gefolgt werden.

Hamburg News: Mit Blick auf Ihre Rolle als HamburgAmbassador – Wie ist der Stand zu Ihrem Vorhaben einer Veranstaltung zu Ehren des Altkanzlers Helmut Schmidt, der als Doktor Honoris causa der Universität Athen eng verbunden war?

Iliopoulos-Strangas: Das Vorhaben musste wegen der Pandemie ein bisschen zurücktreten, da ich an eine große Veranstaltung in Athen gedacht habe. Vielleicht lässt sich dieser Plan noch in diesem Jahr verwirklichen.

Hamburg News: Liebe Frau Professorin Iliopoulos-Strangas, wir danken Ihnen für das Gespräch.

imb/sb/kk

Quellen und weitere Informationen

HamburgAmbassador-Programm

Die zurzeit 39 HamburgAmbassadors aus 29 Ländern üben ein Ehrenamt aus, in das sie vom Ersten Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg berufen werden. Die Senatskanzlei, die Handelskammer Hamburg und die an Hamburg Marketing beteiligten Institutionen haben das von Hamburg Marketing koordinierte HamburgAmbassador-Programm ins Leben gerufen, das in seiner Struktur einmalig in Deutschland ist. Die HamburgAmbassadors sind Unterstützer, Netzwerker und Impulsgeber für Politik ebenso wie für Wirtschaft, Wissenschaft oder Kultur im Ausland, mit dem Ziel, Hamburg international zu positionieren.

HamburgAmbassadorin Prof. Julia Iliopoulos-Strangas

Sie ist eine leidenschaftliche Wissenschaftlerin, und verfügt über ein weltweites Netzwerk: Die Juristin und Anwältin Professor Dr. Julia Iliopoulos-Strangas, die Hamburgs Erster Bürgermeister Dr. Peter Tschentscher 2018 zur ehrenamtlichen HamburgAmbassadorin in Griechenland ernannt hat. Geboren in Athen, hat sie in Hamburg promoviert, bevor sie in Athen zur Professorin ernannt wurde. Daneben hat sie u. a. als Gastprofessorin in Hamburg, Straßburg und Paris gelehrt. Gastvorträge führten Julia Illiopoulos-Strangas darüber hinaus beispielsweise nach Aix-en-Provence, Berlin, Hannover, Lissabon, Madrid, Sofia, Tokio und Wien. Neben ihrer früheren Richtertätigkeit an der „Kommission gegen Folter“ der Vereinten Nationen, engagiert sich die international orientierte Juristin in zahlreichen Vereinigungen, Forschungsgruppen und Vorständen für staatsrechtliche, sozialrechtliche, menschenrechtliche und ethische Themen. Last but not least, ist ihre langjährige Tätigkeit als Vorstandsmitglied des im Jahre 2009 eröffneten Akropolismuseums in Athen ein Meilenstein in ihrem Werdegang.

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