Luftfahrt

ZAL-Chef Roland Gerhards über die Zukunft der Luftfahrt

16. Mai 2022
Setzen sich Flugtaxis & Co. durch? Wann starten die ersten Wasserstoff-Verkehrsflugzeuge? Hamburger Luftfahrtexperte im Gespräch

Wenn es um die Zukunft der Luftfahrt geht, ist sich Roland Gerhards in einem Punkt sehr sicher: Der elektrische Antrieb wird sich durchsetzen. „Elektrisches Fliegen bietet ein Riesenpotenzial. Es ist klimafreundlich und es ist leise! Speziell im Fliegen mit Wasserstofftanks liegt die Zukunft“, betont der Geschäftsführer des Zentrums für Angewandte Luftfahrtforschung (ZAL), mit Sitz in Hamburg-Finkenwerder in einem Gespräch mit den Hamburg News. Mehr als 30 Partner, darunter Hochschulen, Startups oder Unternehmen wie Airbus, Lufthansa Technik oder das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) arbeiten am ZAL an der Entwicklung, Integration und Industrialisierung innovativer Luftfahrttechnologien. Auch das Potenzial von Wasserstoff für die Luftfahrt wird hier von Anfang an erforscht.

Wasserstoffforschung mit zwei Ansätzen

Wasserstoffbetriebene Verkehrsflugzeuge sieht Gerhards in gut zehn Jahren in der Luft. „Aktuell wird vor allem an zwei Möglichkeiten geforscht: Einerseits die Verbrennung in klassischen Gasturbinen, nur, dass hier eben Wasserstoff statt Kerosin in den Tank kommt. Das könnte 2035 Realität werden.“ Die zweite Möglichkeit sei der Einsatz von Brennstoffzellen, die zwar ein komplett emissionsfreies Fliegen ermöglichen, aber augenblicklich noch nicht leistungsfähig und leicht genug sind. Schließlich gilt in der Luftfahrt: Gewicht ist alles. „Auch die Integration und Kühlung der Brennstoffzellen stellt unsere Ingenieure noch vor technische Herausforderungen. So wird etwa an der Herstellung von 3D-gedruckten Wärmetauschern gearbeitet.“ Mit einem effektiven Einsatz von Brennstoffzellensystemen sei somit eher ab 2045 zu rechnen, meint Gerhards, der seit Anfang dieses Jahres auch Präsident der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt in Bonn ist. Die DGLR versteht sich als Netzwerk, das Akteur*innen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft ein gemeinsames Forum bietet und als neutrale Institution Politikberatung im Feld Luft- und Raumfahrt betreibt.

 

Roland Gerhards, Geschäftsführer des ZAL und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt

eVTOLs und eCTOLs

Lufttaxis, Pizza-Delivery oder Lieferungen von Onlineshops per Drohne, also Beispiele für ‚Advanced Air Mobility‘-Anwendungen, räumt Gerhards wenig Chancen auf baldige Realisierung ein. „Natürlich klingt es reizvoll, vom Flughafen schnell per Lufttaxi auf ein Konzert in die Elbphilharmonie zu fliegen, doch als Angebot für die Superreichen dürfte es sich weder gesellschaftlich noch technisch allzu bald durchsetzen.“ Erforscht werden aktuell vor allem zwei Konzepte: eVTOLs (electric vertical takeoff and landing) und eCTOLs (electric conventual takeoff and landing). Während sich eVTOLs dank vertikaler Start- und Landemöglichkeit auf Bereiche wie On-Demand-Lufttaxis, Flughafenpassagier- oder Patiententransfers fokussieren, zielen die konventionell ausgerichteten eCTOLs eher auf den klassischen Kurzstrecken-Transport von Fracht und Passagieren. Beide Ansätze sehen einen elektrischen Antrieb vor.

Demonstrator Lilium-Jet

Lilium und Volocopter: Pioniere der Advanced Air Mobility

In Deutschland engagieren sich vor allem die beiden Unternehmen Lilium und Volocopter in diesem neuen Luftfahrt-Zweig, so Gerhards. Die Idee von Lilium, senkrecht zu starten und dann auf einen horizontalen Flug umzuschwenken, hält der Experte allerdings für technisch ausgesprochen anspruchsvoll. „Diese Kombination ist zudem energieintensiv und die Reichweite bleibt bislang ein Problem.“ Die Erfolgsaussichten von Volocopter schätzt er da schon höher ein. „Ansätze von Volocopter, elektrische VTOL-Flugtaxis beispielsweise zur medizinischen Luftversorgung einzusetzen – also um Notärzte oder Medikamente schnell zum Einsatzort zu transportieren – sind vielversprechend, das wird kommen.“ In Hamburg wurde im Rahmen des ITS Weltkongresses im vergangenen Jahr eine von Volocopter entwickelte Schwerlastdrohne präsentiert, die gemeinsam mit DB Schenker zur Marktreife gebracht werden soll.

ITS Weltkongress: erster öffentlicher Flug der ‚Volodrone‘

Drohnentechnologie schon vielfach im Einsatz

Die Durchsetzung der Drohnentechnologie, also den Einsatz kleiner unbemannter Luftfahrzeuge (engl.: UAVs), hält Gerhards denn auch durchaus für wahrscheinlich. „Zumindest in sozial akzeptierten Anwendungsfeldern, wie den Transport von Notfallmedikamenten oder Gewebeproben. Oder zur Inspektion von Stromtrassen oder Windrädern. Hier sind in Hamburg bereits Startups wie Medifly oder Beagle aktiv.“ Die Hansestadt sieht der Experte gut aufgestellt und nennt als Beispiel Windrove. Das Netzwerk bringt seit 2017 Nutzer*innen, Gestalter*innen und Anbieter*innen von drohnenbasierten Services und Produkten zusammen. „Der Drohneneinsatz ist vielfach schon im Alltag angekommen, ob die Feuerwehr mithilfe von Drohnen nach Brandnestern sucht oder die Köhlbrandbrücke abgeflogen wird, um Fotos von Rostschäden zu machen, statt aufwendig ein Gerüst aufzubauen und Industriekletterer hochzuschicken“, so Gerhards.

Transport medizinischer Proben im Projekt Medifly

Luftfahrt lukratives Feld für KI

„Spannend wird es auch in der Nachflugphase“, fährt er fort. „Aus vielleicht 5.000 gemachten Fotos genau die fünf zu identifizieren, die den Rostschaden am besten zeigen, das ist die eigentliche Aufgabe.“ Und dabei könnte der Einsatz künstlicher Intelligenz ein weiteres vielversprechendes Marktsegment werden, ist Gerhards überzeugt. Noch jedoch müssen Drohnen auf Sicht fliegen, was lukrative Business Cases erschwert. Am ZAL wird mit dem Kooperationsprojekt Medifly 2 auch auf diesem Sektor geforscht. „Wir sind im engen Austausch mit der Flugsicherung, denn Drohnen müssen ja in den bestehenden Flugverkehr und damit in einen oftmals stark frequentierten Luftraum integriert werden. Aber wir sind zuversichtlich, noch bis Jahresende regelmäßige autarke Flüge durchführen zu können.“

Urlaubsflugverkehr dürfte sich bis 2024 erholen

Und wie steht es mit der etablierten Luftfahrt? Der Hamburger Flughafen hat jüngst rund 5,3 Millionen Passagiere für 2021 gemeldet, das sind etwa 70 Prozent weniger als vor der Pandemie. „Meine Prognose: Die Menschen wollen wieder fliegen und sie wollen in die Ferne – nach zwei Jahren Ost- und Nordsee. Der Urlaubsflugverkehr wird sich also relativ schnell erholen. Ich rechne mit 2024“, so Gerhards. Für Business-Flüge gelte das allerdings nicht. „Videokonferenzen haben sich bis zu einem gewissen Punkt bewehrt, ich erwarte daher ein Minus von 10 Prozent.“ Allerdings betont er auch, so gut Online-Meetings inzwischen organisiert seien, sie böten keinen Raum für Zufälle. „Und Zufälle bereichern das Leben – und das Geschäft. Aus der zufälligen Begegnung am Kaffeetisch kann sich ein hochlukratives Geschäft entwickeln.“ 

Eine Erholung der Langstrecke hingegen dürfte noch etwas dauern, vor allem vor dem Hintergrund aktueller Ereignisse. „Russland darf nicht überflogen werden, das bedeutet für Asienflüge große Umwege – was angesichts des hohen Energiepreises nochmals Preissteigerungen und einen erhöhten Zeitaufwand bedeutet. Hier wird es wohl eher über 2025 hinausgehen. Aber das ist aktuell einfach schwer einzuschätzen.“
ys/sb/kk

Quellen und weitere Informationen

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