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Tiplu: Hamburger Startup will den Arztberuf revolutionieren

14. Juni 2022
KI-basierte Software soll die Erlöse von Kliniken sichern und die Behandlungsqualität verbessern. Serie: Innovationen in der Medizin

Der gläserne Patient. Für manche ein erschreckendes Szenario. Doch um wieviel größer wären die Heilungschancen, wenn Ärzte:innen stets ein wirklich umfassendes Bild ihrer Patient:innen und somit etwa auch alle Risikoindikatoren im Blick hätten, um die individuell passenden Maßnahmen rechtzeitig ergreifen zu können? Tiplu, ein Tech-Unternehmen im Gesundheitsbereich mit Sitz in Hamburg-Harburg, arbeitet an genau dieser Vision. „Aber datenschutzkonform“, betont Mitgründer Dr. med. Lukas Aschenberg. Den Gründungsimpuls gab 2016 sein Bruder und IT-Experte Tim Aschenberg, mit einer Softwarelösung zur Erlössicherung in Krankenhäusern. Für die Vertriebsleitung kam Peter Molitor dazu. Ihr erstes Produkt ‚Momo‘ – hergeleitet von Michael Endes Momo, die den Menschen Zeit zurück schenkt – unterstützt Kliniken mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) bei der Fallkodierung und stellt sicher, dass jede erbrachte Leistung korrekt abgerechnet wird. Das Kodieren mit Momo soll die Anfechtung der Rechnungen seitens der Krankenkassen ersparen – immerhin jährlich ein Betrag von rund zwei Milliarden Euro. 400 Kliniken in ganz Deutschland nutzen die Kodiersoftware bereits. Im nächsten Schritt soll Momo die Abrechnungscodes vollständig eigenständig aus der Patientenakte auslesen. Somit würde die Automatisierung der Abrechnung erreicht werden. „Hier besteht eine starke Nachfrage seitens der Kliniken, denn auch im Bereich Abrechnung herrscht echter Fachkräftemangel“, weiß Lukas Aschenberg. Teil fünf unserer Serie ‚Innovationen in der Medizin.

Muster erkennen und Behandlungsqualität verbessern

Das Programm greift für die Abrechnung auf die gesamten digital zur Verfügung stehenden Daten der Patienten:innen zu. Warum diese umfassende Datenlage nicht auch zur Grundlage von Vorhersagen nutzen, hat sich das Gründungstrio gefragt. „Mit Maia entwickeln wir eine Software für klinische Entscheidungsunterstützung, um die Behandlungsqualität zu verbessern.“ Aschenberg weiß wovon er spricht. Als Arzt bringt er eine mehrjährige Berufserfahrung mit, unter anderem in der Asklepios Kliniken GmbH. „Mithilfe von KI lassen sich Muster erkennen: Patient:innen, die eine bestimme Krankheit erlitten haben, hatten zum Beispiel ein paar Stunden zuvor einen Laborwert von X – um nur einen Faktor zu nennen. Mit ausreichend Training kann unser System belastbare Vorhersagen bieten, wann bei einem Patienten mit dieser Krankheit zu rechnen ist.“ Auf diese Weise will das hanseatische Startup dazu beitragen, den Beruf des Arztes zu revolutionieren. Die dazu nötigen Daten liegen durch Tiplus Vorarbeit in den Klinken in strukturierter Form vor, ideal für KI.

Die Software lernt in Kliniken vor Ort

Aber: Patientendaten genießen einen extrem hohen Schutz und dürfen die Krankenhäuser nicht verlassen. „Darum kommt unser System in die Häuser. Wir stellen den Kliniken Hochleistungsrechner zur Verfügung und Maia lernt datenschutzkonform vor Ort. Aktuell arbeiten wir dazu mit gut 100 großen Kliniken zusammen.“ Je mehr Kliniken sich beteiligen, desto besser. Denn die an einer Klinik erkannten Muster werden in Form von anonymen Zahlenketten in das nächste Haus transferiert und bilden die Grundlage für das weitere Lernen des Systems. So wird die Software ‚Haus für Haus‘ immer intelligenter, denn letztlich wurde das System dann in allen Häusern trainiert. Der Ansatz dieses ‚förderierten Lernens‘ ist bekannt, betont Aschenberg. „Aber unser Netzwerk mit 100 Kliniken dürfte einzigartig sein. Sicher im deutschsprachigen Raum, vielleicht auch darüber hinaus.“

Maia kann mithilfe von Mustererkennung Krankheitsausbrüche vorhersagen

Prozesse automatisieren und optimieren – über das Gesundheitswesen hinaus

Einen ersten Prototypen der Software Maia hat das Hamburger Startup bereits entwickelt. Maia 1.0 durchläuft aktuell den Zertifikationsprozess für die Anerkennung als Medizinprodukt. „Das dürfte Ende des Jahres geschafft sein, wir rechnen aktuell mit einem Markteintritt Anfang 2023“, so die Gründer.

Parallel arbeitet das Tiplu-Team, das inzwischen auf rund 150 Mitarbeiter:innen aus den Bereichen IT, Medizin, Pflege, Coding oder BWL gewachsen ist, bereits an ihrem nächsten Produkt: Flowa. Das Tool zur Prozessautomatisierung soll die verschiedenen IT-Strukturen innerhalb eines Unternehmens so zusammenführen, dass ein digitales Netzwerk verknüpfter und interagierender Systeme entsteht. Ziel ist es, eine digitale Kommunikation zu schaffen, in der Flowa als selbstlernendes System Vorschläge machen kann, welcher Schritt innerhalb einer Prozesskette als nächstes optimal wäre. Aschenberg nennt als Beispiel die Notaufnahme. „Die Organisation folgt hier einem klar umrissenen Ablaufprozess: Vom Einlesen der Patientenkarte über das Durchlaufen der verschiedenen diagnostischen Möglichkeiten bis zur Aufnahme auf einer Station. Flowa unterstützt die Mediziner mit objektiven Prognosen, wann welcher Schritt am sinnvollsten ist: Erst zum Röntgen oder erst eine CT-Aufnahme anfertigen?“ Was im Krankenhaus eine kluge Ergänzung der digitalen Infrastruktur wäre, eigne sich auch für viele andere Branchen, betont der Gründer. „Flowa könnte als erstes unserer Produkte das Gesundheitswesen verlassen. Es ist überall einsetzbar, etwa in Behörden oder in der Logistik.“
ys/sb

 

Lesen Sie dazu auch die weiteren Teile unserer Serie:

1) Mit Virtual Reality Phantomschmerzen lindern

2) Geschäftsmodell: Angststörungen in der virtuellen Welt bekämpfen

3) Mit künstlicher Intelligenz zur Schlaganfall-Prophylaxe

4) Hamburger Startup: Künstliche Intelligenz für die Zellenforschung

Quellen und weitere Informationen

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