Künstliche Intelligenz

Künstliche Intelligenz im Hafen: vielversprechende Anwendungsfelder

24. März 2021
Am Fraunhofer CML in Hamburg wird an der Zukunft des intelligenten Hafens geforscht. Algorithmen spielen dabei eine immer größere Rolle

Künstliche Intelligenz (KI) gilt als Schlüsseltechnologie, die bereits vielfach zum Einsatz kommt, sich kontinuierlich weiterentwickelt und somit zu einer fortlaufenden Steigerung von Effektivität und Sicherheit in vielen Branchen führt – so auch im maritimen Umfeld. Lutz Kretschmann, Leiter des interdisziplinären Forschungsteams 'Marine Operations Management' beim Fraunhofer-Center für Maritime Logistik und Dienstleistungen (Fraunhofer CML) in Hamburg, nennt drei Beispiele für vielversprechende Einsatzfelder von KI.

1. Optimierung des LKW-Verkehrs im Hafen

LKW-Staus im Hafen kosten Zeit, Geld und Nerven – und dabei sind sie durchaus oft vermeidbar. Durch Vorhersagen mit Hilfe von künstlichen neuronalen Netzen, wann und mit wie vielen LKWs zu rechnen ist, könnte der Verkehrsfluss im Hafen maßgeblich verbessert werden. Das Fraunhofer CML hat dazu ein Modell entwickelt, das ein digitales Abbild der Abfertigungsprozesse von logistischen Knoten verwendet, um durch die Vorhersage von LKW-Ankünften eine optimierte Abfertigung zu erleichtern.

„Unsere Algorithmen lernen aus Vergangenheitsdaten, was für eine Ankunftsrate und Abfertigungsdauer in welcher Situation zu erwarten ist, und können so beispielsweise Stoßzeiten im Vorhinein ermitteln. Auf diese Information können dann die Spediteure reagieren, um Wartezeiten zu vermeiden. Durch die geschaffene Transparenz für alle Akteure entsteht ein sich selbst regelndes System.“

Lutz Kretschmann, Leiter des interdisziplinären Forschungsteams Marine Operations Management, Fraunhofer CML

In den letzten Jahren wird die LKW-Abfertigung zunehmend über die Vergabe von Zeitslots geregelt, um Staus zu vermeiden. „Das ist an sich eine schlaue Lösung. Gleichzeitig jedoch ist sie aber auch unflexibel, was Nachteile mitbringen kann“, findet Kretschmann. Je besser die Datenbasis, desto genauer die Prognose. „Wenn wir in Zukunft etwa die Telematik-Einheiten aus den LKWs einbinden könnten, wäre das für besonders genaue Vorhersagen sicher sehr hilfreich“, so Kretschmann. Der KI-basierte Prognose-Ansatz lässt sich zudem auf viele weitere Anwendungsfälle übertragen, etwa auf Schiffsanläufe, betont der Experte. Oder aber auf den Transport von Leercontainern.

2. Regionale Bereitstellung von Leercontainern

Schätzungen zu Folge belaufen sich die jährlichen Transportkosten für die Bereitstellung von Leercontainern im Rahmen globaler Lieferketten auf 20 Milliarden US-Dollar. Das Projekt „Container availability index made in Germany” - kurz C-TIMING - hat sich zum Ziel gesetzt, Leercontainertransporte durch den Einsatz innovativer Prognoseverfahren zu verringern, was sowohl aus wirtschaftlicher als auch umweltpolitischer Sicht sinnvoll ist. „Ohne einen Leercontainer am Verladeort kann kein Transport stattfinden. Eine optimale Verteilung von Ladeeinheiten weltweit kann nun entweder jeder Reeder für sich vornehmen, oder man tut sich zusammen. Unser Kooperationspartner xChange Solutions GmbH – ein Hamburger Startup – hat dazu eine Plattform entwickelt, um Nutzer und Eigner zusammenzubringen“, erläutert Kretschmann.

Mit den Projekt C-TIMING will das Fraunhofer CML nun noch einen Schritt weitergehen. „Unser Ziel ist es, für die Zukunft zu berechnen, wo, wann und in welcher Höhe die Nachfrage zu erwarten ist – und das auf Basis aktueller Forschungsergebnisse aus dem Bereich künstlicher Intelligenz.“ Dazu werden Millionen einzelner Containerreisen ausgewertet, statistische Verfahren und Techniken des Maschinellen Lernens angewendet. Ergebnis ist ein Modell, das Angebot und Nachfrage in Form eines Index vorhersagt. „Diese Information kann nicht nur für Transportentscheidungen dienen, sondern bildet potenziell auch eine Grundlage für ein dynamisches Pricing, das aktuelle Marktentwicklungen in die Berechnung der Container-Transportkosten einbezieht.“

3. Automatische Erkennung beschädigter Container

Bis leere Container zu ihrem Wiedereinsatz kommen, werden sie in Depots zwischengelagert und dabei auf ihren Zustand überprüft bzw. repariert – und das ist nicht selten erforderlich, weiß Kretschmann. „´Im Hafen knallt`s`, wie es so schön heißt. Bei der Bewegung der Container wirken beträchtliche Kräfte und diese können schnell zu Beschädigungen führen. Sie zuverlässig zu identifizieren ist für einen sicheren Transport enorm wichtig. Unser Ziel ist es aktuell, diese Beschädigungen mittels Computer Vision, also KI-unterstützter Bilderkennung, zu finden.“ Gemeinsam mit der HCCR Hamburger Container- und Chassis-Reparatur GmbH arbeitet das Fraunhofer CML im Projekt COOKIE an entsprechender Software für die bildbasierte Schadenserkennung in der Leercontainerinspektion. „Bilderkennung hat in den vergangenen Jahren enorme Fortschritte gemacht und kann nun in viele praktische Anwendungen in der Logistik eingebunden werden“.

Beste Voraussetzungen dank guter Datenlage im maritimen Umfeld

Kretschmann ist zuversichtlich, dass sich der Einsatz von KI auch jenseits der drei Beispiele im maritimen Umfeld weiter durchsetzen wird. „Dank steigender Datenmengen als Grundlage für KI-Anwendungen lassen sich immer mehr Lösungen umsetzen. Gleichzeitig sind Datenspeicherung und -übertragung deutlich günstiger geworden und die Entwicklung intelligenter Sensoren schreitet voran.“ Das alles treffe auf ein wachsendes Interesse seitens maritimer Unternehmen. „Wir sehen hier gute Zukunftsaussichten“, betont Kretschmann. „Denn gerade die maritime Branche bietet, ähnlich wie die Retail-Branche oder der Bankensektor, beste Voraussetzungen, da im Transport prinzipiell viele Daten anfallen.“
ys/kk

Quellen und weitere Informationen

Das Fraunhofer-Center für Maritime Logistik und Dienstleistungen entwickelt und optimiert Prozesse und Systeme entlang der maritimen Supply Chain. In den vier Forschungsfeldern Maritime Logistik, Hafen, Schifffahrt und Schiffbau werden neueste wissenschaftliche Erkenntnisse in praxisorientierte Anwendungen überführt. Dabei stehen Lösungen für eine durchgängige Digitalisierung und Prozessautomatisierung, Dienstleistungskonzepte sowie KI-gestützte Datenauswertung ebenso im Fokus, wie autonome maritime Systeme und die nachhaltige Schifffahrt.

Gegründet 2010, beging das Fraunhofer CML im letzten Jahr sein 10jähriges Jubiläum. Ende 2021 soll ein eigens für die Einrichtung entworfenes Gebäude im Harburger Binnenhafen mit ausreichend Fläche für Forschung in Büros, Laboren und Werkstätten eingeweiht werden.

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